Predigt zu Johannes 7, 37-39

  Aber am letzten Tag des Festes, der der höchste war, trat Jesus auf und rief:
"Wen da dürstet, der komme zu mir und trinke!
Wer an mich glaubt, wie die Schrift sagt, von dessen Leib werden Ströme lebendigen Wassers fließen."
Das sagte er aber von dem Geist, den die empfangen sollten, die an ihn glaubten; denn der Geist war noch nicht da; denn Jesus war noch nicht verherrlicht.


"Essen kommen" rufe ich laut, aber die Kinder interessiert es nicht.
Johannes kniet vor seinem Papierflieger und kämpft um den richtigen Kniff. Nach links? Oder rechts? Vor ihm liegt das Buch vom Onkel Hans aufgeschlagen, aber Johannes kommt mit der Abbildung nicht klar.
Simon windet sich auf dem Stuhl vor seinem kleinen Schreibtisch. Nicht wegen ungelöster Rechenaufgaben. Nein, es ist der Gameboy. Er kämpft im Spiel und mit dem Spiel. Wenn er gewinnt, ist er eine Runde weiter. Aber es scheint nicht leicht zu sein. Wie sein Held auf dem Minibildschirm schmeißt sich Simon nach vorne, nach hinten, zur Seite, zieht die Schultern hoch und kämpft um das Gleichgewicht auf seinem virtuellen Surfbrett.

"Essen kommen!" Ich werde lauter und Simon und Johannes reagieren unisono: "Ja, gleich!"
Ja gleich - das heißt so viel wie : Es paßt gerade nicht. Eigentlich störst Du jetzt gerade, das siehst Du doch!
Ich stehe vor der Wahl: Werde ich noch lauter, noch zudringlicher, sage es noch zwei-, dreimal, dann habe ich eine gute Chance, daß die beiden zum Essen kommen. Aber das wird ein mühsames Kommen sein, und ein lustloses: Sie werden sich an den Tisch quälen, daß es einem den Appetit verschlägt.
Gebe ich auf, dann haben wir Eltern einen ruhigen Mittagstisch ganz für uns, können ungestört reden, niemand wird uns unterbrechen, nichts fällt auf den Boden, keine Gabel landet klirrend auf dem Teller. Und vielleicht kommen die Söhne gerade noch, bevor wir fertig sind, und dann werden wir ihnen vielleicht doch geduldig beim Essen Gesellschaft leisten, bis sie satt sind.


"Wer durstig ist, der komme zu mir und trinke!"
Jesus ruft es in die Menge der Leute am Tempel, aber wer hört ihn? Die Leute machen selber Lärm, sie haben ihren Spaß an diesem fröhlichen letzten Tag des Laubhüttenfestes. Sie feiern die Weizen- und die Traubenernte, und sie genießen die frischen Mazzenbrote, die frischen, noch ofenwarmen Brotfladen und den ersten Most aus den Trauben dieses Jahres.
Wer will da Wasser?
Jesus erlebt, was er schon oft in seinem Leben erlebt hat: Die meisten interessiert es nicht sonderlich, was er anzubieten hat. Eine sensationelle Heilung, ja. Eine wunderbare Massenspeisung, okay. Da gucken sie. Aber wenn er dann nicht noch eins draufsetzt, dann gehen sie auch wieder, die meisten Leute. Sie haben was Tolles gesehen, das werden sie den anderen erzählen, brühwarm; die werden bedauern, daß sie nicht dabeigewesen sind - und das war's dann auch.

"Wer durstig ist, der komme zu mir und trinke!" Nur wer Durst hat, wird das hören.
"Wer an mich glaubt, aus dessen Innersten werden Ströme lebendigen Wassers fließen..." Das wünscht sich nur, wer das lebendige Leben sucht - und wer nicht meint, er habe es schon.


Der Andrang ist nicht groß.
Er war es damals nicht und er ist es heute nicht.
Manche Gemeinden, manche Kirchenleitungen hat deswegen große Sorge ergriffen. "Wir nehmen ab", sagen sie, "auch unsere Einnahmen nehmen ab!"
Und: "Wir müssen Strategien entwickeln!
Werbestrategien.
Missionsstrategien.
Wir müssen den Leuten die Botschaft des Evangeliums nahebringen.
So nahe, daß sie nicht mehr wegbleiben.
Wir müssen ganz modern sein. Poppig. Zeitgemäß. Überraschend. So, wie das niemand von uns erwartet."
Organisationsberater werden bemüht. Werbeagenturen werden angeheuert. Sprüche werden erfunden. Auch aggressive, die den Leuten Gott und Jesus aufdrängen: "Wenn dein Gott tot ist, nimm meinen", oder schlicht, und am besten mit ausgestrecktem Zeigefinger: "Auch du brauchst Jesus!"
Es müßte doch mit dem Teufel zugehen...


Jesu gelassener Kommentar zu soviel Aufgeregtheiten lautet: "Wer durstig ist, der komme zu mir und trinke!"
"Wer durstig ist..."
Beileibe nicht jeder und beileibe nicht alle sind angesprochen. Wer keinen Durst hat, der ist nicht angesprochen.
Wer die Stimme Jesu gar nicht erst gehört hat, ist nicht angesprochen.
Wer seinen Durst lieber mit frischem Most stillt, ist nicht angesprochen.
Die alle werden nicht kommen und nicht trinken. Sie sind oder sie fühlen sich vom Angebot Jesu nicht angesprochen.
Jesus macht das überhaupt nicht unruhig. Er verlangt nach keiner Flüstertüte, er schickt keine Jünger-Werbekolonnen über den Tempelplatz, er organisiert keine Bannerwerbung, er stellt sich auf kein Podest, um besser gehört oder gesehen zu werden.
Er sagt (an anderer Stelle):
Zu den Kranken bin ich gekommen, nicht zu den Gesunden. Die Gesunden brauchen keinen Arzt.
Jesus reicht offenbar seine Stimme, er begnügt sich mit begrenzter Tragweite und begrenzter Hörbereitschaft.


Wer keinen Hunger hat, kommt nicht gern zum Essen.
Wer keinen Durst hat, trinkt nicht.
Wer sich für gesund hält, geht nicht zum Arzt.
Christen bilden keine Massenbewegung. Trotz Volkskirche.
Christlicher Glaube ist auch nicht exklusiv elitär ("klein, aber fein"). Nein, die Sache Christi, der Glaube an ihn ist einfach eine Angelegenheit von manchen, und meist nicht von der Mehrheit.
Christen sind "das Salz", "das Licht". Christen sind Leute, die vom Strom lebendigen Wassers getrunken haben und immer wieder davon trinken. Sie wissen, wo er zu finden ist und sie können anderen Durstigen zeigen, wo er fließt, dieser Strom.

Jesu Gelassenheit macht seine Nachfolgerinnen und Nachfolger auch gelassen. Nicht einmal die Aufgeregtheiten ihrer Kirchenleitungen und Organisationen kann Christen anstecken.
Jesu Gelassenheit erquickt seine Jüngerinnen und Jünger. In seinem Namen vertrauen sie sich und die Welt Gott an. Er wird Ströme lebendigen Wassers fließen lassen für jeden, der Durst hat.
Das ist die Zuversicht und Freude der Christen.

Amen







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